Die Geschichte einer Herkunft, einer Ankunft und einem zu Hause.

Vor ca. 12 Monaten bin ich nach Hamburg gezogen. Was für eine schöne Stadt. Da ich im Oktober umgezogen bin, waren meine ersten Eindrücke allerdings voller Regen und von grauen Heimwehwolken überschattet. Der Herbst zeigte mir sein grimmiges Gesicht und die vielen Kastanien und bunten Blätter auf den Straßen fielen mir kaum auf. Familie und Freunde fehlten mir sehr und auf den hektischen Straßen war es schwer neue Freundschaften zu knüpfen. Aus einem kleinen Dorf kommend war ich es gewohnt, dass man sich freundlich zunickt, wenn man sich auf den Straßen begegnet, an der Bushaltestelle übers Wetter plaudert und freundlich lächelt, wenn jemand die gleiche Jacke trägt wie man selbst. Als ich das erste mal in die Innenstadt fahren wollte wurde mir klar, dass es in der Stadt anders zugeht. Als ich den Busfahrer der Buslinie 5 lächelnd fragte, ob dieser Bus denn zum Jungfernstieg fahren würde, schaute er mich grimmig an und fragte: „Kannst du nicht lesen oder was?! Da vorne ist ein Fahrplan!“ Ich konnte lesen. Allerdings nicht den Fahrplan. Zu Hause fuhr 20 Minuten vom Haus entfernt alle zwei Stunden ein Bus. Die Haltestellen kannte man und der nur ab und zu aushängende Fahrplan beinhaltete eine kurze Liste und sonst nichts. Dieser Fahrplan war mit A’s und B’s verzeichnet und als Neuling in Hamburg musste ich gefühlte sieben verschiedene Fahrpläne durchlesen um herauszufinden, wie ich am besten meine Wunschdestination erreichen konnte. Fragen schien mir einfacher. Falsch gedacht. Auch am Wunschziel angekommen war von freundlichem Plaudern oder gar einem kleinen Lächeln keine Rede. Die Hamburger hatten es eilig und wahrscheinlich gefiel auch ihnen das graue Herbstwetter nicht.

Zum Glück kam bald der Schnee. Die ganze Stadt schien von abertausenden kleinen, weißen Diamanten bedeckt. Und alles was ich durch meine hellblaue Wintermütze sehen konnte, war im wahrsten Sinne des Wortes bezaubernd. Wie konnte diese große Stadt bloß von einen Tag auf den anderen so eine Atmosphäre von winterlicher Gemütlichkeit bekommen? Diesmal hatte ich mich auf eine der Fähren getraut und fuhr mit dieser durch dicke Eisschollen auf der Elbe in Richtung Stadt. Nach noch einer kurzen Busfahrt hatte ich das Zentrum erreicht. Die hektische Menschenmasse, die mir noch vor einigen Wochen so angespannt vorkam, stand nun ausgelassen zwischen Wintermützen, Weihnachtskerzen und etlichen Köstlichkeiten auf dem Rathausmarkt und wärmte sich mit etwas Punsch. Obwohl Freunde und Liebe nicht in greifbarer Nähe waren, war das Heimweh nun deutlich weniger zu spüren. Ich folgte dem Beispiel der Hamburger und schlenderte über die Weihnachtsmärkte, trank Glühwein und aß Schmalzkuchen. Und siehe da, auch in Hamburg spielen die Kinder im Schnee. Wie sollte man zwischen so vielen Menschen einsam sein?

Als meine geliebten weichen Winterflöckchen dann aber zu einer graubraunen Straßenmatsche wurden, fühlte ich mich auf einmal von den vielen Menschen etwas eingeengt und von dem schnellen Tempo etwas überrumpelt. Plötzlich war der kalte Weg durch die große große Stadt sooooo viel weiter, als er es noch in der schönen Winterwunderwelt war. (Ist ja logisch – mit kalten, nassen Füßen und einer eingefrorenen Rudolf-Nase). Außerdem schien es mir eine Ewigkeit her zu sein, dass sich mal wieder jemand aus der Heimat hier hat blicken lassen. Das graue Flair meiner Ankunftszeit war zurückgekehrt – und es war kein fröhliches Wiedersehen. Die Stadt war trotzdem noch toll. Keine Frage. Aber mein zu Hause schien mir sehr weit weg zu sein.

Und dann, nach vielen Telefonaten mit Freunden daheim und vielem Jammern über die Noch-Einsamkeit in der neuen Stadt, war es endlich soweit. Die ersten Sonnenstrahlen waren da. Die Stadt zeigte sich noch einmal in einem ganz neuen, diesmal warm schimmerndem Licht, dass sich glitzernd im Wasser spiegelte. Die Menschen kamen aus ihren Häusern gekrabbelt, die dickste Winterjacke konnte nun verstaut werden und sogar ein Lächeln blitzte hier und dort durch, wenn man durch den Stadtpark schlenderte oder um die Alster joggte. Die Ersten wagten es, sich in Straßencafés nach draußen zu setzen. Fröhliches Geschnatter in Erwartung der warmen Jahreszeit. Einige Irre liefen schon in T-Shirts herum, stolze Cabrio-Besitzer fuhren, dick mit Mütze und Schal verpackt, mit offenem Verdeck durch die Innenstadt. Hamburg zeigte mir schon wieder ein neues Gesicht und mit diesem kam ich um einiges besser zurecht. Inzwischen hatte ich auch das U– und S-Bahnnetz, sowie die wichtigsten Buslinien drauf und ein paar Lieblingscafés- und Pizzalieferanten hatten sich auch etabliert. So langsam fing ich an mich wohl zu fühlen.

Schon bald begann auch das Studium und brachte eine Menge neue Bekanntschaften mit sich. Die Regentage wurden nun nicht mehr alleine verflucht, stattdessen die Sonnentage gemeinsam genossen. So wurden an einem sonnenreichen Tag die Vorlesungen geschmissen und sich stattdessen mit kaltem Bier und hochgekrempelten Jeans auf die Alster gesellt um Tretboot zu fahren. Auch die Freunde aus dem Norden und die Liebe aus dem Süden hatten inzwischen den Weg hierher gefunden und blieben ungern zu lange fern. Auch sie hatten sich in die schöne Stadt verguckt. Und nach jedem Mal hatte ich einen neuen Ort entdeckt, den ich ihnen unbedingt zeigen musste. Das es meistens regnete wenn Besuch da war – und auch wenn kein Besuch da war – machte schon gar nichts mehr aus. Schließlich ist es nur ein Zeichen dafür, in Hamburg zu sein. Während ich mich anfangs noch von den vielen Menschen eingeengt fühlte und es etwas anstrengend fand, dass die Stadt nie wirklich zur Ruhe kommt, finde ich es inzwischen fantastisch morgens aufzustehen und zu sehen, dass die Stadt schon wach ist. Oder abends spät nach Hause zu kommen und auf dem Heimweg nie allein zu sein. Das schnelle Tempo der Hamburger ist nun kein Zeichen für Stress und Gehetze mehr, sondern ein Ansporn an den eigenen Ehrgeiz. Eine Erinnerung daran alles zu geben, damit du aus genau dieser riesigen Menge irgendwie herausstechen und zeigen kannst, dass du bereit bist, das Beste von dir zu geben.

Nun ist es wieder Oktober, doch der Herbst kann mir nichts mehr anhaben. Denn irgendwo zwischen langen Nächten auf dem Kiez und Tretboot fahren auf der Alster, wurde Hamburg mein zu Hause.

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